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"Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" war das Motto der Befreiung von knechtender persönlicher Abhängigkeit in Europa. Die Freiheit von persönlichen Abhängigkeiten wurde erreicht - die Menschen wurden befreit aus ihren feudalen Abhängigkeiten aber gleichzeitig "befreit" von dem Grund und Boden ("Bauernlegen" nicht zuletzt im Zusammenhang mit Wollexporten aus Großbritannien, wo aus den Ackern Schafweiden wurden). Alle Menschen wurden "gleich" gegenüber den Mächten, die von nun an die Gesellschaftszusammenhänge darstellten: den anonymen Märkten. Auf diesen Märkten ist jeder Mensch nur noch Warenbesitzer oder -nichtbesitzer, Anbieter oder Nachfrager. Wer nichts Warenförmiges anzubieten hat, bzw. wessen Bedürfnis keine Zahlungskraft besitzt, ist diesen Mächten gegenüber gar nichts mehr - die Milliarden Menschen außerhalb der wertförmigen kapitalistischen Vergesellschaftung auf der Welt zählen deshalb einfach als "Überbevölkerung"...
Die neue Vergesellschaftungsform macht alle Dinge, Kräfte und Menschen gleich und vergleichbar - als Ware, wobei diese gegenüber diesen wesentlichen Zusammenhängen alle anderen Qualitäten verlieren. Wenn wir im Bewerbungstraining lernen, wie wir uns bei der Bewerbung zu geben haben - haben wir uns als einzigartige Persönlichkeit auszulöschen. Im schlimmsten Fall haben wir in unserer Sozialisation nie gelernt etwas anderes zu sein als "Masken", und dann stört uns diese Zumutung nicht einmal mehr...
Uns beherrschen nicht mehr "böse Menschen", auf die man ja noch schimpfen könnte, die man vielleicht noch ersetzen könnte (in oder als Parteien etc.), sondern die "unsichtbare Hand des Marktes" unterwirft alles menschliche Tun "Sachzwängen", die nicht mehr hinterfragbar erscheinen (wie die "Globalisierung"). Es ist ein Irrtum, daß Marx den Haß auf die Kapitalisten gepredigt habe. Im Vorwort zur ersten Auflage des Kapitals stellt er fest, daß es sich bei den "Gestalten von Kapitalist und Großeigentümer" nur um Personen handelt, "soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind". (Dasselbe ist dann logischerweise auch von den Arbeitern zu denken!).
Jeder Mensch in der bürgerlichen Gesellschaft ist frei und gleich - aber nicht geschwisterlich mit den anderen verbunden, sondern über die anonymen Mächte.
Diese entstehen, indem aus den einzigartigen Dingen und Menschen verallgemeinerbare, vergleichbare "Werte" extrahiert werden, indem sie nur als Waren zueinander in Bezug gesetzt werden. Diese Werte sind etwas "Übersinnliches", sie existieren nur in den Köpfen der Subjekte - aber objektiv, für alle in gleicher, notwendiger Weise.
Hie der einsame Einzelne - da das ihm sein Verhalten diktierende Ganze, Allgemeine. Die Entfremdung, die hier entsteht, die Fetischisierung des jeweils leitenden Allgemeinen (Ware, Wert) ist unhintergehbar. Wenn auch Einzelne Nischen gefunden haben und sich darin austoben - verwirklichen sie meist auch spezielle Rollen dieser Vergesellschaftungsform und kommen nicht "zu sich selbst" - denn dazu müßten sie untereinander andere (geschwisterliche) Beziehungen aufbauen können statt sich lediglich in der bunten Erlebnis- und Konsumwarenwelt gegenseitig zu bedienen.
Die menschliche Gesellschaft ist tatsächlich notwendigerweise stets mehr als die Summe ihrer einzelnen Individuen. Irgendeine Art der Vergesellschaftung ist notwendig, damit die Einzelnen überhaupt als Menschen leben können (auch Robinson hat "die Gesellschaft" in Form seiner - gesellschaftlich entstandenen - produktiven und kreativen Kräfte und Fähigkeiten mit sich geführt).
Es besteht die Vermutung, daß die Form der Vergesellschaftung, wie wir sie seit der ursprünglichen Kapitalakkumulation als sich ständig in Produktion und Kultur reproduzierende Gesellschaftsform "Kapitalismus" kennen, das "Ende der Geschichte" markiert. Tatsächlich entgehen der Integration durch diese Vergesellschaftung nicht einmal viele alternative Ansätze in Wirtschaft und Kultur.
Marx konnte nachweisen, daß die Entstehung und Entwicklung dieser Gesellschaftsform sich "logisch" aus den jeweiligen Bedingungen ergibt, daß die weitere Entwicklung quasi "naturgesetzlich" vonstatten geht, "gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht, ob sie sich dessen bewußt sind, oder nicht bewußt sind." (Nachwort zur zweiten Auflage des Kapital). Um leben zu können, muß ich meine Arbeitskraft verkaufen, oder durch mein Kapital andere Arbeitskräfte für dessen Verwertung/Reproduktion arbeiten lassen... Dies kennzeichnet gesunden Realismus und "Vernünftigkeit" in unserer Welt. Gegen "Spinner", "Utopisten" und "Idealisten" wird diese Vernunft beschworen. Und sie führt notwendig zu einem gegenseitigen Ausspielen der ökologischen Interessen (die zumindest nach Senkung der Produktionsmenge verlangen) und dem Zwang, genügend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen (und immer produktiver immer mehr zu produzieren), weil die Menschen sich anders nicht reproduzieren können. Ein Ausweg innerhalb dieses Reproduktionskreislaufes scheint nicht möglich zu sein, wie wir in diesem Jahrhundert bitter zur Kenntnis nehmen mußten. Simone Weil erkannte bereits in den 30er Jahren, daß die von Marx hoffnungsvoll in der Befreierrolle gesehene Arbeiterklasse genauso eng an die Existenz des Kapitalismus gebunden ist, wie die Kapitalisten. Von den kritischen Theoretikern wurde nach den Schrecken des Faschismus gefragt, wieso die Widersprüche nicht zu der erhofften Befreiung geführt haben, sondern die Menschen statt dessen die größten Perversionen der menschlichen Geschichte hingenommen und unterstützt haben, statt den Sprung in neue Vergesellschaftungsformen zu suchen.
Von der kritischen Theorie kommt auch erstmals die Vermutung, daß der Glaube an die Rationalität und das Vertrauen auf die "Logik" der Selbstüberwindung, der dialektischen Selbstaufhebung aus den inneren Widersprüchen heraus nicht ausreicht zur Untermauerung kritischen und alternativen Denkens. Die Aufklärung selbst, die rationales Denken hervorbrachte, brachte damit gleichzeitig den Glauben an rationale, sachlich beherrschende Mächte hervor. Wenn der Kapitalismus sich so "logisch erklärbar" und "rational" entwickelt, dann wird das schon das Beste sein... Auch Auswege werden nur innerhalb des Rasters der zulässigen Logik gesucht (z.B. wird die wirtschaftliche Rationalität, daß sich alles "rechnen muß" in bisher jedem Sozialismuskonzept vorausgesetzt). Auch die postmoderne Kritik an den "großen Erzählungen" rüttelt mit Recht an dem Glauben, die "Logik der Erzählung" existiere unabhängig von unserer Einzigartigkeit und wir hätten uns nur noch "der richtigen Sache" zu verschreiben - notfalls "uns selbst" in ihrem Interesse aufzugeben.
Diese Vision ist ein Ausbruch aus alten "Logiken", trifft sich aber mit vielen anderen Utopien und Zukunftsvorstellungen. Sie geht von einer Weiterentwicklung aus - also nicht von einem Zurück zur ursprünglichen Subsistenzwirtschaft . Ich meine, wenn wir schon die jetzigen Möglichkeiten mit so viel destruktiven Kräften bezahlt haben (was nicht unbedingt alles notwendig gewesen wäre und deshalb nicht mit späterem Gebrauch rechtfertigt werden kann), sollten wir es den Menschen in den späteren Wirtschafts- und Lebenseinheiten überlassen, wie sie mit diesen Möglichkeiten umgehen (Internet, Solarzellen, Computer - Atomkraft und Gentechnik wird aus strukturellen Gründen sowieso entfallen). Ich vertraue auf deren Kreativität und mute mir nicht zu, ihnen von hier aus schon wieder etwas verbieten zu wollen. Ganz abgesehen von diesen theoretischen Meinungen - die Irreversibilität der Bedingungsänderungen (daß die Menschen davon wissen, Erfahrungen damit haben) wird sowieso zu ganz eigenen noch nicht ausdenkbaren Varianten der Zukünfte führen...und meine Logik ist hier auch am Ende. |
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