Situationistische Internationale No.11 Oktober 1967


ZWEI LOKALE KRIEGE

Der Krieg zwischen Israel und den arabischen Ländern ist ein übler
Streich, den die moderne Geschichte dem guten linken Gewissen gespielt
hat, das im grossen Spektakel seines Protests gegen den Krieg in
Vietnam einmütig war. Das falsche Bewusstsein, das die FNL-Leute für
die Vorkämpfer der 'sozialistischen Revolution" gegen den
amerikanischen Imperialismus hielt, konnte sich nur in seine
unüberwindbaren Widersprüche verwickeln und scheitern, wenn es darauf
ankam, zwischen Israel und Nasser zu wählen. Durch seine possenhaffe
Polemik hat es jedoch ständig verkündet, dass der eine oder der andere
absolut recht habe und sogar dass diese oder jene ihrer Perspektiven
revolutionär sei.

Indem der revolutionäre Kampf in die unterentwickelten Zonen
immigrierte, wurde er einer doppelten Entfremdung unterworfen
einerseits der einer gegenüber dem überentwickelten Kapitalismus
ohnmächtigen Linken, die diesen auf keine Weise bekämpfen kann, und
andererseits der der arbeitenden Massen der kolonisierten Länder, die
die Überbleibsel einer entstellten Revolution geerbt haben und deren
Fehler erleiden mussten. Die Abwesenheit einer revolutionären
Bewegung in Europa hat die Linke auf die einfachste Form reduziert :
eine Zuschauermasse, die jedesmal in Entzückung gerät, wenn die
Ausgebeuteten in den Kolonien nach den Waffen gegen ihre Herren
greifen, und die nicht umhin können, darin das non plus ultra der
Revolution zu sehen. Gleichfalls hat die Abwesenheit des politischen
Lebens des Proletariats als Klassen für sich (und für uns ist das
Proletariat revolutionär oder es ist nichts) es dieser Linken
ermöglicht, in einer Welt ohne Tugend zum Ritter der Tugend zu werden
. Wenn sie aber darüber klagt und jammert, dass "die Weltordnung'
ihren guten Absichten wiederstreitet, und wenn sie ihr armseliges
Streben gegenüber dieser Ordnung aufrechterhält, ist sie praktisch
doch mit ihr als ihrem eigenen Wesen verbunden wird sie ihrer beraubt
bzw. schliesst sie sich selbst aus ihr aus, so verliert sie alles. Die
europäische Linke ist so arm, dass sie sich scheinbar nach dem blossen
dürftigen Gefühl einer abstrakten Entgegnung wie nach einem Trost
sehnt, wie der durch die Wüste Reisende nach einem blossen
Wassertropfen. Der Umfang ihrer Not kann durch die Leichtigkeit
ermessen werden, mit der sie sich zufrieden gibt. Sie ist der
Geschichte fremd, genau so wie das Proletariat dieser Welt fremd
ist; das falsche Bewusstsein ist ihr natürlicher Zustand, das
Spektakel ihr Element und der scheinbare Zusammenstoss der Systeme ihr
universeller Bezug: immer wenn und über all dort, wo es einen Konflikt
gibt, kämpft das Gute gegen das Böse, die "absolute Revolution" gegen
die "absolute Reaktion" .

Die Zustimmung des zuschauenden Gewissens zu fremden Dingen bleibt
irrational und sein tugendhafter Protest versumpft in den Windungen
des Schuldgefühls. Die meisten französischen ' Vietnam-Komitees" sind
während des "6 Tage Krieges" auseinandergefallen, während ein Teil
der Widerstandsgruppen gegen den Vietnamkrieg in den Vereinigten
Staaten gleichfalls ihre Wahrheit erfahren haben. "Man kann nicht zu
gleicher Zeit für die Vietnamesen und gegen die von Ausrottung
bedrohten Juden sein!", rufen die einen "Wie könnt ihr gegen die
Amerikaner in Vietnam kämpfen, wenn ihr deren angreifende
zionistische Verbündeten unterstützt?" erwidern die anderen und man
stürzt sich in byzantinische Diskussionen. . . Selbst Sartre hat das
nicht überlebt. In Wirklichkeit bekämpfen alle diese guten Leute das
nicht, was sie verurteilen, und kennen das nicht, was sie billigen.
Ihre Opposition gegen den amerikanischen Krieg verschmilzt fast immer
mit einer bedingungslosen Unterstützung des Vietkong - auf jeden Fall
bleibt sie aber für alle spektakulärer Art. Diejenigen, die sich
wirklich dem spanischen Faschismus wiedersetzten, gingen an Ort u und
Stelle, um ihn zu bekämpfen. Keiner machte sich aber bisher auf, im
den "Yankee-Imperialismus" zu bekämpfen. Eine ganze Auslage
fliegender Teppiche bietet sich den Konsumenten der illusorischen
Beteiligung an - der stalinistisch- gaullistische Nationalismus
gegen den amerikanischen (Humphreys Besuch in Frankreich war die
einzige Gelegenheit für die KPF, mit den ihr übriggebliebenen Treuen
zu demonstrieren); der Verkauf des "Kuriers aus Vietnam" oder der
Werbebroschüren für den Ho Chi Minh-Staat und zuletzt die
pazifistische Demonstration. Weder die Provos (vor ihrer Auflösung),
noch die Berliner Studenten konnten über diesen engen Rahmen der
anti-imperialistischen 'Aktion' hinausgehen.

Der Widerstand gegen den Krieg in Amerika ist auf Anhieb ernsthafter,
da der wirkliche Feind ihm gegenübersteht. Für einen Teil der Jugend
bedeutet er jedoch, dass sie sich mechanisch mit den scheinbaren
Feinden ihrer wirklichen Feinde identifizieren -was die Konfusion in
einer Arbeiterklasse noch verstärkt, die schon der schlimmsten
Verdummung und Mystifizierung unterworfen wird, und dazu beiträgt, sie
in diesem 'reaktionären' Geisteszustand zu erhalten, der als Argument
gegen sie benutzt wird.

Wichtiger scheint uns Guevaras Kritik zu sein, da sie ihre Wurzeln in
echten Kämpfen
hat, aber sie bleibt mangelhaft. Gewiss ist Che einer der letzten
konsequenten Leninisten unserer Zeit, anscheinend hat er aber, wie
Epimenides, während des letzten halben Jahrhunderts geschlafen, wenn
er glaubt, es gebe immer noch ein 'fortschrittliches Lager', das
seltsam 'schwach' sei. Dieser bürokratisch-romantische Revolutionär
sieht also im Imperialismus nichts anderes als die höchste
Entwicklungsstufe des Kapitalismus in seinem Kampf gegen eine
Gesellschaft, die trotz ihrer Mängel sozialistisch ist.

Die mit Schimpf und Schande zugegebene Schwäche der UdSSR erscheint
immer mehr als 'normal' . Laut einer öffentlichen Erklärung bleibt
China "zu jedem nationalen Opferbereit, um Nord-Vietnam (wenn auch
schon nicht die Arbeiter von Hongkong) gegen die USA zu
unterstützen.und sie bildet die festeste und sicherste Nachhut für
das vietnamesische Volk in seinem Kampf gegen den Imperialismus."
Tatsächlich zweifelt keiner daran, dass Maos bürokratische China noch
völlig heil ist, wenn der letzte Vietnamese gefallen ist (Nach der
'Izwestia' sollen China und die Vereinigten Staaten ein Abkommen zur
gegenseitigen Nichteinmischung geschlossen haben).

Weder das manichäische Gewissen der tugendhaften Linken noch die
Bürokratie sind fähig, die tiefe Einheit der heutigen Welt zu
verstehen. Die Dialektik ist ihr gemeinsamer Feind. Was die
revolutionäre Kritik betrifft, so setzt sie jenseits von Gut und Böse
an - sie hat ihre Wurzeln in der Geschichte.und ihr Feld ist die
Totalität der bestehenden Welt. Auf keinen Fall kann sie einem
kriegsführenden Staat zustimmen oder die Bürokratie eines im
Entstehen begriffenen ausbeutenden Staates unterstützen. Vor allem
muss sie die Wahrheit der aktuellen Konflikte enthüllen, indem sie sie
mit ihrer Geschichte verknüpft, und die uneingestandenen Ziele der
offiziell kämpfenden Kräfte entlarven. Die Waffe der Kritik wird als
Einleitung für die Kritik der Waffen gebraucht.

Der friedlichen Koexistenz der bürgerlichen und bürokratischen Lüge
ist es schliesslich gelungen, die Oberhand über die Lüge ihrer
Zusammenstösse zu gewinnen; das Gleichgewicht des Schreckens ist 1962
in Kuba während der russischen Auflösung gebrochen worden. Seither
herrscht der amerikanische Imperialismus unbestritten über die Welt.
Das kann er nur durch Agression, da er die Enterbten niemals irgendwie
verlocken wird, die sich eher dem russisch-chinesischen Muster
zuwenden. Der Staatskapitalismus stellt die natürliche Tendenz der
kolonisierten GeselIschaften dar, in denen sich der Staat im
allgemeinen vor den Klassen bildet - im historischen Sinne des Wortes.
Die totale Beseitigung ihrer Kapitalien und Waren vom Weltmarkt ist
gerade die Lebensgefahr, die die besitzende Klasse in Amerika und ihre
Wirtschaft des freien Unternehmertums bedroht, sowie der Schlüssel für
ihre Angriffswut.

Seit der grossen Krise im Jahre 1929 wird die Intervention des Staates
in die Marktmechanismen immer sichtbarer; die Wirtschaft kann ohne
die massiven Ausgaben des Staates, des Haupt" konsumenten" der ganzen
nicht kommerziellen Produktion (hauptsachlich durch die
Rüstungsindustrie) nicht mehr regelmässig funktionieren. Was ihn nicht
daran hindert, weiter im Kriegszustand zu bleiben und die Ausdehnung
seines öffentlichen auf Kosten seines privaten Sektors nötig zu
haben. Durch eine unerbittliche Logik wird das System zu einem immer
mehr staatlich kontrollierten Kapitalismus getrieben, der ernste
soziale Konflikte entstehen lässt.

Die Unfähigkeit des amerikanischen Systems, auf sozialer Ebene
genügend Profit zu erzeugen, macht seine tiefe Krise aus. Es muss
also aussen das schaffen, was es zuhause nicht zustande bringen kann
und zwar die Profitmasse im Verhältnis zu der des vorhandenen
Kapitals vergrössern. Die besitzende Klasse, die auch den Staat mehr
oder weniger besitzt, verlässt sich auf seine imperialistischen
Eingriffe, um diesen wahnsinnigen Traum zr verwirklichen. Für diese
Klasse bedeutet der Staatskapitalismus genau wie der Kommunismus den
Tod; deshalb ist sie von Natur aus unfähig, irgendeinen Unterschied
zwischen beiden zu sehen.

Das künstliche Funktionieren der monopolistischen Wirtschaft als
'Kriegswirtschaft' sorgt vorläufig dafür, dass die Politik der
führenden Klasse die wohlwollende Unterstützung der Arbeiter geniessen
kann, denen die Vollbeschäftigung und ein spektakulärer Überfluss
zugutekommen: "Zur Zeit ist der Prozentsatz der mit Aufgaben für die
Verteidigung beschäftigten Arbeitskraft 5,2 % der gesamter
amerikanischen Arbeitskraft gegenüber 3,9 % vor zwei Jahren. . . Die
Zahl der zivilen Beschäftigungen auf dem Gebiet der Verteidigung ist
in 2 Jahren von 3.000.000 auf ungefähr 4.100.000 gestiegen". (' Le
Monde' vom 17.9.67). Inzwischen wird der Marktkapitalismus undeutlich
gewahr, dass er durch die Erweiterung des von ihm kontrollierten
Gebiets zu einem beschleunigten Aufschwung gelangen kann, der fähig
ist, den immer grösser werdenden Forderungen der nicht profitablen
Produktion das Gegengewicht zu geben. Die hartnäckige Verteidigung der
Regionen der 'freien' Welt, in denen seine Interessen oft
unbeträchtlich sind (1959 gingen die amerikanischen Investitionen in
Südviernam nicht über 50 Mio. Dollar hinaus) entspricht einer
Strategie, die langfristig bezweckt, die Militärausgaben in einfache
Ausbeutunaskosten zu verwandeln, was den Vereinigten Staaten nicht nur
einen Markt, sondern auch die monopolistische Kontrolle über die
Produktionsmittel des grössten Teils der Welt sichern würde. Aber
diesem Projekt steht alles im Wege. Einerseits die Inneren
Widersprüche des Privatkapitalismus : besondere Interessen
widerstreiten diesem allgemeinen Interesse der gesamten besitzenden
Klasse - so z.B. die Gruppen, die sich kurzfristig mit
Staatsaufträgen bereichern (mit den Waffenfabrikanten an ihrer Spitze)
und die monopolistischen Unternehmen, die nicht in unterentwickelten
Ländern investieren wollen, in denen die Produktivität trotz der
billigen Arbeitskräfte sehr niedrig ist, und die es lieber im
fortgeschritteneren Teil der Welt tun vor allem in Europa, das immer
noch rentabler als das gesättigte Amerika ist. Andererseits läuft
dieses Projekt den unmittelbaren Interessen der enterbten Massen
zuwider, deren erste Bewegung nur die Beseitigung ihrer eigenen
ausbeutenden Schichten sein kann, die als einzige imstande sind,
irgendeine US-Infiltration zu sichern.

Nach Rostow, dem 'Wirtschaftsaufschwungsexperten' im State Department,
ist Vietnam vorläufig nur das Übungsfeld einer breiten Strategie -
die sich in der Zukunft vervielfachen soll - , die mit einem
zerstörerischen Krieg (der keine grosse Aussicht auf Erfolg hat)
beginnen muss, um ihren Ausbeutungsfrieden zu sichern. Die
Aggressivität des amerikanischen Imperialismus entsteht also nicht
aus der Verirrung einer schlechten Regierung, sondern sie ist für die
Klassenbeziehungen des Privatkapitalismus notwendig, der sich
unaufhaltsam zu einem technokratischen Staatskapitalismus entwickeln
wird, wenn keine revolutionäre Bewegung ihm ein Ende setzt. In diesen
allgemeinen Rahmen der unbewältigt gebliebenen Weltwirtschaft muss die
Geschichte der entfremdeten Kämpfe unserer Epoche eingefügt werden.

Die Zerstörung der alten 'asiatischen' Strukturen durch die koloniale
Eindringung führte auf der einen Seite zur Entstehung einer neuen
städtischen Schicht und zur verstärkten Verelendung breiter Schichten
des überausgebauten Bauernstandes auf der anderen Seite. Das
Zusammentreffen dieser beiden sozialen Kräfte war der Hauptantrieb
der gesamten Bewegung in Vietnam. So bildeten sich die ersten
nationalistischen Kerne, sowie der Rahmen dessen, was von 1930 an
die indonesische KP werden sollte, unter den städtischen
kleinbürgerlichen und sogar bürgerlichen Schichten. Der Anschluss an
die bolschewistische Ideologie (in ihrer stalinistischen Version)
fügte dem rein nationalistischen ein wesentlich landwirtschaftliches
Programm hinzu und machte es der KP Indonesiens möglich, zum
hauptsächlichen Führer des antikolonialen Kampfes zu werden und die
breite Masse der spontan aufgestandenen Bauern zu organisieren. Diese
Bewegung trat 1931 zum ersten Mal mit den 'Bauernräten' in
Erscheinung. Indem sie aber ihr Schicksal mit dem der III.
Internationale verknüpfte, fügte sich die KP Indonesiens in alle
Wechselfälle der stalinistischen Diplomatie und die Schwankungen der
nationalen und staatlichen Interessen der russischen Bürokratie. Vom
VII .Komintern-Kongress im August 1935 an verschwand der 'Kampf gegen
den französischen Imperialismus' aus dem Programm und wurde bald
durch den gegen die mächtige trotzkistische Partei ersetzt. "Was die
Trotzkisten betrifft, weder Bündnisse noch Zugeständnisse! Sie müssen
als das entlarvt werden, was sie sind : Agenten des Faschismus" (Ho
Chi Minhs Bericht vorder Komintern, Juli 1939). Dank dem
deutsch-sowjetischen Abkommen und dem Verbot der französischen und
überseeischen K PS konnte die KPI ihre Richtung ändern : "Unsera
Partei ist der Meinung, es sei eine Lebensfrage . . . gegen den
imperialistischen Krieg und die Raub- und Mordpolitik des
französischen Imperialismus (d .h .: gegen Nazi-Deutschland) zu
kämpfen . . . gleichzeitig aber wollen wir auch gegen die
aggressiven Ziele des japanischen Faschismus kämpfen" .

Gegen Ende des II .Weltkrieges kontrollierte der Vietminh mit
effektiver Hilfe der Amerikaner den grössten Teil des Landes und
wurde als der einzige Vertreter Indochinas von den Franzosen
anerkannt. In diesem Augenblick hielt es Ho Chi Minh für besser, "ein
wenig den französischen Dreck zu beschnüffeln, als ein ganzes Leben
lang den der Chinesen aufnehmen zu müssen" und unterzeichnete, um
seinen Genossen und Herren die Aufgabe zu erleichtern, den
ungeheuerlichen Kompromiss vom März 1946, durch den Vietnam
gleichzeitig als ein 'freier Staat" und als ein 'Teil der
Indonesischen Föderation der Französischen Union" anerkannt wurde.
Dank diesem Kompromiss konnte Frankreich einen Teil des Landes
zurückerobern und zu gleicher Zeit, als die Stalinisten ihren Teil
der bürgerlichen Macht

in Frankreich einbüssen musste, einen 8 jährigen Krieg anfangen, an
dessen Ende der Vietminh den Süden den rückständigsten Schichten der
vietnamesischen Gesellschaft und ihren Schutzherren - den
Amerikanern - preisgab, wahrend er endgültig den Norden bekam:
Nachdem die Vietminh-Bürokratie systematisch die übriggebliebenen
revolutionären Elemente beseitigt hatte (der letzte trotzkistische
Führer, Ta Tu Thau war schon 1946 ermordet worden), richtete sie ihre
totalitäre Macht über den Bauernstand ein und nahm die
Industrialisierung des Landes im Rahmen des Staatskapitalismus in
Angriff. Die Verbesserung der Lage der Bauern, die aus ihren
Errungenschaften im langen Befreiungskampf folgte, sollte gemäss der
bürokratischen Logik in den Dienst des entstehenden Staates gestellt
werden, im Sinne einer besseren Produktivität, die er als einziger,
unbestrittener Herr verwalten wollte. 1956 zog die autoritär
durchgeführte Agrarreform gewaltsame Aufstände und eine blutige
Unterdrückung (besonders in Ho Chi Minhs Provinz selbst) nach sich.
Die Bauern, die der Bürokratie zur Macht verholfen hatten, fielen ihr
als erste zum Opfer. Man versuchte dann jahrelang, diesen "ernsten
Irrtum" vergessen zu lassen, indem man "in Selbstkritik schwelgte" .

Dasselbe Genfer Abkommen machte es aber Diem und Konsorten möglich,
südlich des 17. Breitengrades einen bürokratischen,
feudalistisch-theokratischen Staat im Dienst der Grossgrundbesitzer
und der raubgierigen Bourgeoisie einzuführen. In einigen Jahren
liquidierte dieser Staat alle Errungenschaften des Bauernstandes
durch einige dazu geeignete "Agrarreformen" , so dass die Bauern im
Süden, von denen ein Teil niemals die Waffen gestreckt hatte, noch
einmal der Unterdrückung und der Überausbeutung unterworfen wurden.
Dann beginnt der zweite Vietnam Krieg. Hier finden die massenweise
aufständischen Bauern, die noch einmal nach den Waffen gegen
dieselben Feinde greifen, auch dieselben Führer wieder. Auf den
Vietminh folgt die Nationale Befreiungsfront (FNL), die dessen gute
Eigenschaften und schwerwiegenden Mängel übernommen hat. Indem sie
sich zum Verfechter des nationalen Kampfes und des Bauernkrieges
macht, hat die FNL von Anfang an das Land für sich gewonnen und aus
ihm die Hauptbasis des bewaffneten Widerstands gemacht. Ihre
aufeinanderfolgenden Siege über die offizielle Armee haben die immer
massivere Intervention der Amerikaner zur Folge gehabt, bis der
Konflikt auf einen offenen Kolonialkrieg reduziert wurde, in dem die
Vietnamesen gegen eine in ihr Land einfallende Armee kämpfen. Die
entschlossene Kampfführung, das deutlich antifeudalistische Programm
und die Perspektive auf die Vereinigung des Landes sind immer noch die
Hauptqualitäten der Bewegung. Keineswegs aber unterscheidet sich der
von der FNL geführte Kampf von den klassischen Kämpfen für die
nationale Befreiung und dem Programm liegt der Kompromiss einer
breiten Klassenkoalition zugrunde, die von dem einzigen Ziel
beherrscht wird, die amerikanische Aggression zu liquidieren (nicht
von ungefähr lehnt es die FNL ab, Vietkong, d.h. "vietnamesische
Kommunisten" genannt zu werden, um ihren nationalen Charakter zu
betonen). Ihre Strukturen sind die eines im Entstehen begriffenen
Staates, da sie schon in den von ihr kontrollierten Zonen Steuern
erhebt und die allgemeine Wehrpflicht einführt.

Diese minimalen Qualitäten des Kampfes sowie die Ziele und die durch
sie zum Ausdruck kommenden sozialen Interessen sind im
israelisch-arabischen Zusammenstoss überhaupt nicht zu finden. Die
spezifischen Widersprüche des Zionismus und die der zersplitterten
arabischen Gesellschaff kommen zu der allgemeinen Konfusion noch dazu.

Von Anfang an widersprach die zionistische Bewegung einer
revolutionären Lösung dessen, was man die Judenfrage nannte. Als ein
unmittelbares Produkt des europäischen Kapitalismus bezweckte sie
nicht die Umwälzung einer Gesellschaft, die die Verfolgung der Juden
nötig hatte, sondern die Bildung einer nationalen Entität, die vor dem
antisemitischen Wahnsinn des dekadenten Kapitalismus geschützt sein
würde keine Abschaffung der Ungerechtigkeit also, sondern deren
Verlagerung. Die Erbsünde des Zionismus besteht darin, immer so getan
zu haben, als wäre Palästina eine menschenleere Insel. Die
revolutionäre Arbeiterbewegung hielt die proletarische Gemeinschaft,
d.h. die Zerstörung des Kapitalismus und "seiner Religion , des
Judentums",

für die Lösung der Judenfrage, da die Emanzipation des Juden
ausserhalb der des Menschen undurchführbar ist. Der Zionismus ging
von der umgekehrten Voraussetzung aus. Gewiss hat ihm die
konterrevolutionäre Entwicklung im letzten halben Jahrhundert recht
gegeben, aber auf dieselbe Art und Weise wie die Entwicklung des
europäischen Kapitalismus gegenüber Bernsteins reformistischen Thesen.
Der Erfolg des Zionismus und folglich die Bildung des israelischen
Staates stellen nur Wechselfälle des Triumphs der
Weltkonterrevolution dar. Dem "Sozialismus in einem einzigen Land"
konnten das "Recht für ein einziges Volk" und die "Gleichheit in einem
einzigen Kibbuz" zurückschallen. Die Kolonisation Palästinas wurde
mit Rothschilds Geldern organisiert und die ersten Kibbuzim durch
europäischen Mehrwert initiiert. Damals haben die Juden für sich
selbst alles das von neuem geschaffen, dem sie zum Opfer fielen : den
Fanatismus und die Rassentrennung. Diejenigen, die darunter zu leiden
haften, in ihrer Gesellschaft bloss geduldet zu werden, kämpften
darum/anderswo Besitzer zu werden, die über das Recht darauf verfügen,
andere zu dulden. Der Kibbutz war keine revolutionäre Aufhebung des
palästinensischen Feudalwesens, sondern eine mutualistische Formel der
Selbstverteidigung der jüdischen Arbeiter-Siedler gegen die Tendenz
zur kapitalistischen Ausbeutung der 'jüdischen Agentur" . Da die
zionistische Organisation der hauptsächliche jüdische Besitzer
Palästinas war, stellte sie sich als die einzige Vertreterin der
höchsten Interessen der "Jüdischen Nation" hin. Sie hat schliesslich
nur deshalb das Recht auf eine bestimmte Selbstverwaltung eingeräumt,
weil sie sich vergewissert hatte, dass diese sich auf die
systematische Zurücktreibung der arabischen Bauern gründen würde.

Was die Histadrut betrifft, wurde sie seit ihrer Bildung im Jahr 1920
der Autorität des Weltzionismus unterworfen -d.h. genau dem Gegensatz
zur Emanzipation der Arbeiter. Ihren Statuten gemäss waren die
arabischen Arbeiter aus ihr ausgeschlossen, und ihre Tätigkeit bestand
oft darin, den jüdischen Unternehmern zu verbieten, sie zu
beschäftigen.

Der dreiseitige Kampf zwischen Arabern, Zionisten und Engländern
sollte sich zum Vorteil der Zweiten entwickeln. Dank der aktiven
Tätigkeit der Amerikaner (vom II. Weltkrieg an) und Stalins Segen (der
Israel als die erste, im Nahen Osten heranwachsende "sozialistische"
Festung betrachtete und dadurch aber auch einige ihm lästige Juden
loswerden wollte) wurde bald Herzl's Traum konkret und willkürlich der
jüdische Staat proklamiert. Durch die Rekuperierung aller
'fortschrittlichen' Formen der sozialistischen Organisation und deren
Integration in das zionistische Ideal durften dann sogar die
'Revolutionärsten' mit ruhigem Gewissen am Aufbau des bürgerlichen,
militaristischen und rabbinischen Staates arbeiten, zu dem das moderne
Israel sich entwickelt hat. Der verlängerte Schlaf des proletarischen
Internationalismus hat noch ein Ungeheuer erzeugt. Die
grundsätzliche Ungerechtigkeit gegenüber den Arabern Palästinas wandte
sich aber sofort gegen die Juden selbst : der Staat des auserwählten
Volkes war nichts anderes als eine übliche Klassengesellschaft, in der
alle Misstände der alten Gesellschaften wiederhergestellt worden
waren (hierarchische Teilungen, ethnische Gegensätze zwischen
Ashkenazen und Sepharditen, rassistische Verfolgungen der arabischen
Minderheit usw.). Die Gewerkschaft hat ihre normale Funktion
wiedergefunden : die Arbeiter in die kapitalistische Wirtschaft zu
integrieren, zu deren Haupteigentümerin sie geworden ist. Sie
beschäftigt mehr Lohnempfänger als der Staat selbst und bildet zur
Zeit den Brückenkopf des imperialistischen Aufschwungs des jungen
israelischen Kapitalismus (So hat z.B. 'Solei Boneh' , eine wichtige
Filiale im Bauwesen von Histadrut, 1960 -1966 180 Mio. Dollar in
Afrika und Asien investiert und sie beschäftigt zur Zeit 12.000
afrikanische Arbeiter).

Da der Staat ohne das direkte Eingreifen des angloamerikanischen
Imperialismus und die massive Hilfe des jüdischen Finanzkapitalismus
niemals hatte entstehen können, kann er heute seine künstliche
Ökonomie nur mit Hilfe derselben Kräfte ausgleichen, die ihn
geschaffen haben (die Zahlungsbilanz weist ein Defizit von 600
Mio.Dollar auf, d.h. mehr als das Durchschnittseinkommen eines
arabischen Arbeiters pro israelischem Einwohner). Schon mit der
Niederlassung der ersten Immigrantensiedlungen bildeten die Juden
parallel zur ökonomischen und gesellschaftlichen rückständigen
arabischen Gesellschaft eine moderne Gesellschaft europäischen Typs;
der Staat hat dann diesen Prozess durch die unbedingte Vertreibung der
Elemente dieser Rückständigkeit nur vollendet. Israel ist von Natur
aus das Bollwerk Europas mitten in einer afroasiatischen Welt. So ist
es doppelt fremd geworden: gegenüber der arabischen Bevölkerung, die
auf den ständigen Zustand von Vertriebenen oder einer kolonisierten
Minderheit reduziert wurde, und gegenüber der jüdischen Bevölkerung,
die einen Augenblick in ihm die irdische Verwirklichung aller
egalitären Ideologien gesehen hatte.

Dafür sind aber nicht nur die Widersprüche der israelischen
Gesellschaft verantwortlich : von Anfang an hat sich diese Lage
ständig verschlechtert, da sie durch die arabische Umgebung erhalten
wurde, die bisher ausserstande war, ihr den Anfang einer wirklichen
Lösung zu geben.
Seit Beginn der englischen Mandatsherrschaft ist die arabische
Widerstandsbewegung in Palästina völlig von der besitzenden Klasse
beherrscht worden d.h. von den damaligen arabischen herrschenden
Klassen und deren britischen Schutzherren. Durch das
Sykes-Picot-Abkommen wurde jeder Hoffnung auf den entstehenden
arabischen Nationalismus ein Ende gesetzt und die mit Sachkenntnis
zerstückelte Gegend einer fremden Herrschaft unterworfen, die weit
davon entfernt ist, am Ende zu sein. Dieselben Schichten, die unter
dem Türkischen Reich für die Knechtschaft der arabischen Massen
gesorgt hatten, gingen in den Dienst der britischen Besatzung über und
nahmen an der zionistischen Kolonisierung teil (indem sie ihre
Landgüter zu sehr hohen Preisen verkauften). Die Rückständigkeit der
arabischen Gesellschaft machte das Hervortreten neuer,
fortgeschrittener Führer noch nicht möglich und die spontanen
Volksaufstände fanden jedesmal dieselben Rekuperatoren wieder die
'feudalistisch-bürgerlichen' Honoratioren und deren Ware:die nationale
Einheit.

Der bewaffnete Aufstand von 1936-1939 und der sechsmonatige
Generalstreik (der längste in der Geschichte) wurden trotz der
Opposition aller Führungen der 'nationalistischen' Parteien
beschlossen und durchgeführt. Spontan organisiert entwickelten sie
sich zu einer sehr breiten Bewegung, was die herrschende Klasse dazu
zwang, sich an sie anzuschliessen und ihre Leitung zu übernehmen, zu
dem Zweck aber, sie zu bremsen und bis zum Verhandlungstisch und den
reaktionären Kompromissen zu führen. Allein der Sieg dieses Aufstandes
in seinen letzten Konsequenzen hätte die britische Mandatsherrschaft
und das zionistische Projekt, einen jüdischen Staat zu errichten,
liquidieren können . Dagegen kündigte sein Scheitern die künftigen
Katastrophen und schliesslich die Niederlage von 1948 an.

Diese läutete die Totenglocke für die ' feudale Bourgeoisie' als
führende Klasse der arabischen Bewegung. Sie bot dem Kleinbürgertum
die Gelegenheit, zur Macht zu gelangen und zusammen mit den Kadern der
besiegten Armee die Triebkraft der heutigen Bewegung zu bilden. Ihr
Programm war einfach - die Einheit, eine bestimmte sozialistische
Ideologie und die Befreiung Palästinas (die 'Rückkehr'). 1956 gab ihr
die dreiteilige Aggression beste Gelegenheit, sich als herrschende
Klasse zu festigen und gleichzeitig einen Führer und ein Programm in
Nasser zu entdecken, der den vollkommen enteigneten arabischen Massen
zur kollektiven Bewunderung aufgestellt wurde. Er wurde zu ihrer
Religion und ihrem Opium. Aber die neue ausbeutende Klasse hatte ihre
eigenen Interessen und selbständigen Ziele. Die Parolen, die das
bürokratisch-militärische ägyptische Regime populär gemacht haben,
waren an sich schlecht.und es war nicht imstande, sie durchzusetzen .
Die arabische Einheit und Israels Zerstörung (einmal als die
Liquidierung des unrechtmässigen Staates und einmal als unbedingtes
Hinauswerfen seiner Bevölkerung Ins Meer bezeichnet) standen im
Mittelpunkt dieser Propaganda-Ideologie.

Der Verfall des arabischen Kleinbürgertums und seiner bürokratischen
Macht wurde in erster Linie durch seine eigenen inneren Widersprüche
und die Oberflächlichkeit seiner politischen Entscheidungen
eingeleitet (Nasser, die Baath-Partei, Kassem und die sogenannten K PS
haben unaufhörlich mit Kompromissen und Bündnissen mit den
fragwürdigsten Kräften gegeneinander gekämpft). Zwanzig Jahre nach
dem ersten Palästina-Krieg hat diese neue Schicht bewiesen, dass sie
vollkommen unfähig ist, das palästinensische Problem zu lösen. Sie
hat von einer wahnsinnigen Überbietung gelebt, da sie wegen ihrer
Unfähigkeit, die unzähligen inneren Probleme irgendwie radikal zu
lösen nur durch die ständige Aufrechterhaltung des israelischen
Vorwands überleben konnte. So bleibt das Palästina-Problem
der Schlüssel zu den arabischen Erschütterungen: nach diesem Problem
richten sich die Konflikte, in ihm sind alle eins. Es liegt der
objektiven Solidarität aller arabischen Regimes zugrunde und
realisiert die ' heilige Allianz" zwischen Nasser und Hussein, Feisal
und Boumedienne, der Baath-Partei und Aref.

Der letzte Krieg hat alle Illusionen zerstört. Die absolute Starrheit
der 'arabischen Ideologie' ist bei Zusammenstoss mit der genauso
starren, aber permanenten effektiven Wirklichkeit zerstäubt worden.
Diejenigen, die davon sprachen, Krieg zu führen, wollten und
bereiteten ihn nicht vor und diejenigen, die nur von
Selbstverteidigung sprachen, rüsteten sich effektiv zur Offensive.
Jedes Lager ging seinem eigenen Hang nach : die arabische Bürokratie
dem der Lüge und der Demagogie und die israelischen Führer dem der
imperialistischen Expansion. Als negatives Element war der
6-Tage-Krieg äusserst wichtig, da er alte Schwächen und geheimen
Fehler dessen enthüllt hat, was man als 'die arabische Revolution'
darstellen wollte. Die 'machtvolle' militärische Bürokratie Ägyptens
bröckelte innerhalb von zwei Tagen ab, wobei sie auf einen Schlaf die
ganze Wahrheit ihrer Verwirklichungen aufdeckte : der Angelpunkt, um
den herum alle sozioökonomischen Veränderungen durchgeführt wurden,
die Armee, blieb grundsätzlich derselbe. Einerseits gab sie vor, in
Ägypten -und sogar in der ganzen arabischen Zone - alles verändern
zu wollen, andererseits tat sie ihr möglichstes, damit in ihren
Reihen, ihren Werten und Gewohnheiten nichts verändert wird. Nassers
Ägypten wird immer noch von den vornasserischen Kräften beherrscht,
seine "Bürokratie" ist eine Masse ohne Zusammenhang und
Klassenbewusstsein, die nur durch Ausbeutung und Aufteilung des
sozialen Mehrwerts vereint wird.

Was den das Baath-Syrien regierenden, politisch-militärischen Apparat
betrifft, schliesst er sich in seiner extremistischen Ideologie immer
mehr ab. Allerdings täuscht seine Phraseologie keinen mehr (ausser
Pablo!) :jeder weiss, dass er nicht gekämpft und die ganze Front ohne
Widerstand übergeben hat, da er die besten Truppen lieber für seinen
eigenen Schutz in Damaskus behalten hat. Diejenigen, die 65 % des
gesamten syrischen Staatshaushaltes verbrauchten, um das Land zu
verteidigen, haben ihre zynische Lüge endgültig entlarvt.

Schliesslich hat der Krieg denen, die es immer noch nötig hatten, ein
letztes Mal gezeigt, dass die Heilige Allianz mit Herren wie Hussein
nur zur Katastrophe führen konnte. Schon am ersten Tag zog sich die
arabische Legion zurück und die palästinensische Bevölkerung, .die
zwanzig Jahre lang den Polizeiterror ihrer Henker über sich ergehen
lassen musste, blieb gegenüber den Besatzungskräften ohne Bewaffnung
und Organisation. Seit 1948 hatte die Hashemiten-Krone zusammen mit
dem zionistischen Staat die Kolonisation der Palästinenser
vorangetrieben. Beim Verlassen von Zisjordanien gab sie diesem die
polizeilichen Personalakten über alle revolutionären palästinensischen
Elemente preis. Den Palästinensern aber, die von jeher gewusst haben,
dass es keinen so grossen Unterschied zwischen den beiden
Kolonisationen gab, behagt jetzt der Widerstand gegen die neue
Besatzungsmacht mehr.

Auf der anderen Seite ist Israel all das geworden, was die Araber ihm
vor dem Krieg zu sein vorgeworfen hatten - ein imperialistischer
Staat, der sich wie die klassischsten Besatzungskräfte benimmt
(Polizeiterror
Sprengung von Häusern mit Dynamit, permanentes Standrecht usw.) Im
Inneren entwickelt sich ein von den Rabbinern geführter kollektiver
Wahnsinn für "Israels Grundrecht auf die biblischen Grenzen" . Der
Krieg hat die ganze Bewegung der Kritik zum Stillstand gebracht, die
durch die Widersprüche dieser künstlichen Gesellschaft hervorgerufen
worden war (1966 gab es zig Aufstände und nicht weniger als 277
Streiks allein im Jahre 1965), und die einstimmige Zustimmung zu den
Zielen der herrschenden Klasse und deren extremistischer Ideologie
bewirkt. Ausserdem diente der Krieg dazu, die nicht in den bewaffneten
Zusammenstoss verwickelten arabischen Regimes zu stärken. So konnte
Boumedienne in 5.000 km Entfernung ruhig an der Überbietung
teilnehmen, sich von der algerischen Bevölkerung bejubeln lassen, vor
der er am Vorabend nicht einmal aufzutreten wagte, und zuletzt die
Unterstützung der vollständig stalinisierten ORP erhalten (' für
seine antiimperialistische Politik'). Für einige Millionen Dollar
erhält Feisal seinerseits die Abtretung des republikanischen Jemen und
die Festigung seiner Herrschaft und vieles bleibt hier noch
unerwähnt.

Wie immer kann der Krieg-wenn es kein Bürgerkrieg ist - den Prozess
der sozialen Revolution nur einfrieren. In Nordvietnam bewirkt er,
dass die Bauernmassen der sie ausbeutenden Bürokratie zustimmen - was
diese bisher nie erreicht hatte. In Israel liquidiert er für lange
Zeit jede Opposition gegen den Zionismus, während in den arabischen
Ländern- momentan - die reaktionärsten Schichten verstärkt werden.
Keineswegs können sich die revolutionären Strömungen darin erkennen.
Ihre Aufgabe liegt am anderen Ende der gegenwärtigen Bewegung, deren
absolute Negation sie sein müssen.
Offensichtlich ist es unmöglich, heute eine revolutionäre Lösung zum
Vietnamkrieg zu suchen. Es kommt vor allem darauf an, der
amerikanischen Aggression ein Ende zu setzen, damit der wirkliche
soziale Kampf in Vietnam sich dann auf natürliche Weise entwickelt
d.h.also, es für die vietnamesischen Arbeiter möglich zu machen, ihre
inneren Feinde wiederzufinden : die Bürokratie im Norden und alle
besitzenden und herrschenden Schichten im Süden. Der Rückzug der
Amerikaner bedeutet die unmittelbare Übernahme des ganzen Landes
durch die stalinistische Führung -das ist eine unvermeidliche Lösung.
Denn die Eindringlinge können ihre Aggression nicht endlos fortsetzen
- seit Talleyrand weiss man, dass man mit Bajonetten alles machen
kann, ausser sich darauf zu setzen. Es kommt also nicht darauf an, den
Vietkong bedingungslos (oder auch kritisch) zu unterstützen, sondern
konsequent und kompromisslos gegen den amerikanischen Imperialismus
zu kämpfen. Heute spielen die amerikanischen Revolutionäre


(Zunahme des realen Bruttosozialproduktes von 1929 bis 1965 und
Vorausberechnung für 1970 und 1975, in Milliarden Dollar).


dabei die wirksamste Rolle, die die Kriegsdienstverweigerung in sehr
breitem Masse (gegenüber dem der französische Widerstand gegen den
algerischen Krieg ein Kinderspiel ist) befürworten und praktizieren.
Die Wurzel des Vietnamkrieges befindet sich in Amerika selbst -dort
muss sie ausgerottet werden.
Im Gegensatz zum amerikanischen Krieg hat die palästinensische Frage
keine Unmittel bar sichtbare Lösung.Keine kurzfristige kann
durchgeführt werden. Unter der Last ihrer Widersprüche können die
arabischen Regimes bloss zusammenbrechen, während Israel immer mehr
von der Logik seiner kolonialen Politik gefangengenommen wird. Alle
Kompromisse, die die Grossmächte und deren respektive Verbündete
zusammenzuflicken versuchen, können auf jeden Fall nur
konterrevolutionär sein. Der zwitterhafte Status quo - weder Frieden
noch Krieg - wird vermutlich für lange Zeit gelten, in der die
arabischen Regimes dasselbe Schicksal wie ihre Vorganger 1948 erfahren
werden (wahrscheinlich anfangs zugunsten der offen reaktionären
Kräfte). Die arabische Gesellschaft, die schon alle möglichen
herrschenden Klassen als Karikaturen aller historisch bekannten
Klassen erzeugt hat, muss jetzt die Kräfte erzeugen, die ihre totale
Subversion mit sich bringen werden. Die sogenannte nationale
Bourgeoisie und die arabische Bürokratie haben alle Mängel dieser
beiden Klassen geerbt, ohne je ihre historischen Realisationen in den
anderen Gesellschaften gekannt zu haben. Die künftigen arabischen
revolutionären Kräfte, die aus den Trümmern der Niederlage vom Juni
1967 hervorgehen müssen, werden wissen, dass sie mit keinem der
bestehenden arabischen Regimes etwas gemeinsam und bei den
etablierten Gewalten, die die heutige Welt beherrschen, nichts zu
respektieren haben. Nur in sich selbst und in den verdrängten
Erfahrungen der revolutionären Geschichte werden sie ein Vorbild
finden. Die palästinensische Frage ist zu schwerwiegend, als dass
sie den Staaten, d.h.den Obersten überlassen werden kann. Sie ist zu
eng mit den beiden grundsätzlichen Fragen der modernen Revolution -dem
Internationalismus und dem Staat -verbunden, als dass irgendeine
heute bestehende Kraft sie angemessen lösen kann. Allein eine
entschlossen internationalistische und antistaatliche, revolutionäre
arabische Bewegung kann gleichzeitig den israelischen Staat auflösen
und die von ihm ausgebeuteten Massen für sich gewinnen. Nur durch
denselben Prozess kann sie alle bestehenden arabischen Staaten
auflösen und die arabische Einigung durch die Macht der Räte errichten.

 

 

 

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